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Magnus Lindberg

Feria (1995-97)
Ein Fest überbordender Virtuosität

Magnus Lindbergs Orchestersprache hat sich mit ihrer intensiven gestischen Impulsivität ihren Weg zum internationalen Erfolg gebahnt. Als sein extremstes Werk darf 'Kraft' gelten, wo orchestrale Klangmassen mit nicht dagewesener Effektivität zu gefrorenen, rauhen Strukturen aufgetürmt werden. Das äußerst elaborierte Verfahren legt den Weg frei zu einem neuen Primitivismus, der von Rock- und Punk-Einflüssen mitgeprägt ist. Tonhöhen werden in dem schrill aufgeschichteten Szenario zur Nebensache. Seit jeher hat Lindberg schnelle Musik als Ausdruck des Zeitgeists geliebt. Trotzdem kam in seinen letzten Werken immer mehr ein Bedürfnis nach von der tonalen Tradition nicht unabhängigem harmonischem Reichtum zum Vorschein, am deutlichsten wohl in der großformatigen, auf Sibelius sich beziehenden 'Aura'. Diese von den französischen Spektralisten Gérard Grisey und Tristan Murail nicht unerheblich angeregte Klangwelt, die harmonikale Muster computergenerierten Verfahrensweisen unterwirft, ist heute aus Lindbergs Sprache nicht mehr wegzudenken.

Die 1995-97 entstandene 'Feria' greift in der aufgeregt figurierenden Gestik auf vor 'Aura' dominierende Elemente zurück. 'Feria' entstand auf merkwürdige, gleichwohl für Lindberg typische Weise. Lindberg kombinierte seinen bisher einzigen Versuch, ein Streichquartett zu schreiben (1995), mit computergeneriertem Material, das in seinem Kammerorchesterwerk 'Engine' aus derselben Zeit Verwendung fand, wobei er am Ende des Verarbeitungsprozesses das ursprüngliche Material verwarf.

Als ihn dann Jukka-Pekka Saraste um ein neues Werk für das Symphonieorchester des Finnischen Rundfunks bat, erweiterte Lindberg das Kammerorchesterstück zu einem zwanzigminütigen Werk für großes Orchester, wie dies ähnlich schon vorher mit der Komposition 'Corrente' geschehen war.

'Feria' (spanisch, Volksfest; eine Feria beschließt zum Beispiel Maurice Ravels 'Rapsodie espagnole') arbeitet mit abrupten Texturveränderungen, mit drastischen Kontrasten. Die virtuose Trompetenfanfare, die am Anfang steht, prägt den Gestus des ganzen Stücks. Nach den wild treibenden Rhythmen des ersten Teils kommt ein mit vehement aufbegehrenden Figurationen durchsetzter ruhigerer Abschnitt, dessen harmonischer Werdegang in einer Referenz an Claudio Monteverdis 'Lamento d’Arianna' gipfelt. Wie schon bei dem Purcell-Zitat in 'Corrente' möchte Lindberg hier keine Collage-artige Ideenverknüpfung einführen, sondern er formuliert aus einer latent vorhandenen harmonischen Verwandtschaft heraus plötzlich das Beinahe-schon-Dagewesene, das eben nun ein Altbekanntes im neuen Kontext ist, diesem allerdings dicht einverwoben. Der Schlußteil wächst aus dem mittleren Abschnitt heraus und führt zu einem machtvollen Ende. Feria ist ein Fest überbordender orchestraler Virtuosität und sinnlicher Klangpracht.

Christoph Schlüren

[Einführungstext für Konzerthaus Wien, 1998]