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Pioniertreffen
unter Orffs und Goethes Dach

Erstes Internationales Symposion der Komponisteninstitute in München

Für frischen Wind in einer Szene emsiger Beihilfe zu Forschung, Bereitstellung von Material und Propagierung, die dem breiten Publikum kaum ein Begriff ist, sorgte das vom Freistaat Bayern getragene Orff-Zentrum München (Leitung: Hans Jörg Jans) mit der Ausrichtung des Ersten Internationalen Symposions der Komponisteninstitute vom 29. Juni bis zum 2. Juli im Münchner Goethe-Forum. In entspannter und ansprechender Atmosphäre trafen sich die Vertreter unterschiedlichster Institutionen, darunter 36 Referierende und Chairmen/women, die an zwei Tagen in acht Sitzungsrunden ihre Erfahrungen und Anliegen vortrugen und austauschten. Ein solches Zusammentreffen kristallisierte sich schon vorab als überfällig heraus und sollte künftig alle paar Jahre stattfinden können. Die Aufgaben der Institutionen sind dabei sehr unterschiedlich. Die meisten von ihnen widmen ihre Tätigkeit dem Schaffen und Leben eines einzigen Komponisten, machen die entsprechenden Quellen für Wissenschaftler, Musiker, Journalisten und Publikum zugänglich und betreiben im Rahmen ihrer sehr unterschiedlichen Möglichkeiten Promotion. Manche sind direkt in Notenausgaben, CD- oder Aufführungsprojekte verwickelt, andere arbeiten mit sehr bescheidenen Mitteln fast nur im Hintergrund als eine Art Informationszentrum. Einige Institute sind mit einer größeren Zahl von schöpferischen Nachlässen betraut und daher mit demokratischeren Zielsetzungen am Zuge, so die Basler Paul-Sacher-Stiftung und die Berliner Akademie der Künste. Und dann sind da noch die im IAMIC (International Association of Music Information Centres) zusammengeschlossenen nationalen Musikinformationszentren, von denen die meisten – zu Gast in München das British Music Information Centre, London – die gesamte geschichtliche Breite der Musik ihres Landes repräsentieren, andere – wie das Pariser Centre de la documentation de la musique contemporaine – sich ausschließlich oder weitgehend auf die zeitgenössische Musik konzentrieren. Schade, daß keines der wirklich vorbildlich organisierten Musikinformationszentren aus den Nordischen Ländern eingeladen wurde! Die Leistung, die von dort für den Ruf und mittlerweile einsetzenden nachhaltigen Erfolg der nationalen Komponistengrößen erbracht wurde und wird, ist kaum hoch genug einzuschätzen und zeugt von einer Kompetenz und Professionalität, deren Anwesenheit dem Forum zum Vorteil gereicht hätte.
Die Unterschiede zwischen den Institutionen der geladenen Vertreter sind nicht nur bezüglich der Ausrichtung und der daraus resultierenden Aufgaben sehr groß, sondern ganz besonders auch hinsichtlich der finanziellen Schlagkraft. So dürften die osteuropäischen Teilnehmer den hohen Etat der New Yorker Kurt Weill Foundation als überwältigend und kaum besonders ermutigend für die eigene Arbeit empfinden. Die Lage der italienischen Musik des 20. Jahrhunderts ist eine sehr marginale, die im eigenen Land auf geringes Interesse stößt. Am besten ist es, aufgrund des internationalen Zuspruchs, um die Position der im "avantgardistischen" Lager eingebürgerten Nonkonformisten Luigi Nono und Giacinto Scelsi bestellt (wobei die "ketzerische" Frage, ob Scelsi wirklich ein Komponist gewesen sei, natürlich besonders von Seiten der eloquenten Vertreterinnen des John Cage Trust, Laura Kuhn, und David Tudors, Nancy Perloff, entschieden bejaht wurde). Luigi Dallapiccola hat heute einen schwereren Stand, das Dallapiccola-Archiv ist in das traditionsbewährte Florenzer Gabinetto G. P. Vieusseux eingegliedert und verfügt über vergleichsweise bescheidene Mittel. An Geld mangelt es natürlich auch in Tschechien, und das

Fortschreiten der Leos-Janácek-Gesamtausgabe geht nicht ohne gravierende Hindernisse vonstatten. Wie ein buntes Vöglein wirkte in dieser Gesellschaft der unermüdliche Propagandist der Berliner Isang-Yun-Gesellschaft, Walter-Wolfgang Sparrer, in dessen Lage die Kunst der vorausschauenden Improvisation eine bedeutende Rolle spielt. Der Boden einer Institution ist eben fester als derjenige einer Gesellschaft, die von Mitgliederbeiträgen lebt – ähnlich, wie dies z. B. in der Allan-Pettersson-Gesellschaft der Fall ist.
Die Referenten waren angewiesen, sich angesichts des knapp kalkulierten Zeitplans kurz zu fassen, was manchen mit zwingender Präzision gelang, so bei deutlicher Unterschreitung des Zeitlimits dem Komponisten Bernard Beloniel, der für den Vaughan Williams Trust mit beeindruckender Umsicht die Fäden zieht. Er beschrieb die effektive Methodik der Zusammenarbeit mit CD-Labels, verbunden mit Promotion-Auflagen, bei deren Nichterfüllung die Rechte verfrüht an den Trust zurückfallen – aus den Mitteilungen eines langjährig erfolgreichen Pragmatikers. Eine Sonderstellung beansprucht zu recht der Walton Trust, äußerst effizient und seriös vertreten durch den weltbürgerlichen Juristen John F. da Luz Camacho, der zugleich für die auf einer ganz anderen Rechtsgrundlage basierende italienische Fondazione William Walton zuständig ist, welche über zwölf paradiesische, als Naturschutzgebiet ausgewiesene Gärten in La Mortella (dies die Passion der Komponistenwitwe) verfügt und in ihren vielfältigen Tätigkeiten über Mangel an Erfolg nicht klagen kann. Eindrucksvolle Repräsentanten des weiteren: László Vikárius von den Bartók-Archiven aus Budapest, der von der erdrückenden, locker hundertjährigen Aufgabe einer Gesamtedition in akzentfreiem Oxford-englisch zu erzählen weiß, und dessen nobler Auftritt dem Kulturerbe seines großen Landsmanns bestens ansteht; Manachir Jakoubov vom Moskauer Schostakowitsch-Zentrum, Marianne Lyon vom französischen Zentrum für Gegenwartsmusik, Henry-Louis de La Grange als Eminenz hinter seiner Pariser Bibliothèque Gustav Mahler, und manche weitere.
Schade ist, daß die abschließende Podiumsdiskussion (Referat und Leitung: Jürg Stenzl) aufgrund der Nichtanwesenheit fast aller Beteiligten beim vorangegangenen Symposion das Essentielle dieses Pioniertreffens kaum anklingen ließ und sich fern der realen Interessen der Beteiligten auf Allgemeinplätzen erging. Abgesehen davon darf man von einem erfolgreichen ersten Schritt in Richtung einer internationalen Verknüpfung sprechen, auch wenn die angesichts der günstigen Umstände große Chance zur Gründung einer tragenden, die Interessen bündelnden Assoziation eher leichtfertig nicht angegangen wurde. Wann es nun dazu kommen wird, ist nicht abzusehen. Auch hätten dem Symposion klarere thematische Fokussierung und die vorab erwogene Formulierung gemeinsamer Ziele und verwirklichbarer Ideen nicht geschadet. Das Motto "Gegenwart in der Zukunft" ist hierfür nicht gerade ein überwältigender Fantasiebeweis. Interessenten können das als erste Publikation des bayerischen Staatsinstituts erschienene, englischsprachige Begleitheft zum Symposion – mit vielen Informationen über alle beteiligten Institutionen in Selbstdarstellung – vom Orff-Zentrum München beziehen. Es enthält in aller gebotenen Kürze viel Wissenswertes. Wie es gemeinsam weitergehen sollte oder könnte, darüber steht freilich nichts drin.

Christoph Schlüren & Graham Lack