Sternschnuppen und so weiterBBC Legends: Immer mehr aus den Archiven der BBC |
Der vielversprechende Start der Serie BBC Legends hat nicht zu viel versprochen.
Die Archive der britischen Rundfunkanstalt sind unerschöpflich
und überhäufen die Sammler geradezu mit tontechnisch exzellent
aufbereiteten (und mit sachkundig erzählerischen Texten ausgestatteten)
Trouvaillen obwohl das nicht weniger wünschenswerte
unbekanntere Repertoire fast komplett von den Veröffentlichungen
ausgespart bleibt. Demgegenüber muss das Dirigentenporträt
Adrian Boult einigermaßen verblassen, mit einer sehr soliden
Unvollendeten Schuberts, den genre-sicher exekutierten 'Jeux d
enfants' von Bizet, einer kaum begeisternden Darbietung von Ravels
zweiter Suite aus 'Daphnis et Chloé' und einer sehr guten,
freilich zu Beecham, Stokowski oder Barbirolli niemals in Reichweite
kommenden Siebenten Sibelius (4039-2). Noch weniger sagt mir
Giulinis gerühmtes 1961-er Konzert mit dem Philharmonia Orchestra
in Edinburgh, wo die Bilder einer Ausstellung und Tschaikowskijs
Pathétique zu hören waren (4023-2) zweifellos
wird sehr intensiv musiziert, doch mit wenig Gespür für
die tatsächlichen Gegensätzlichkeiten, für die formbildenden
Prinzipien. Da sind Verdis Requiem (1963) und Schuberts Es-Dur-Messe
(1968) unter dem 1914 geborenen italienischen Maestro doch weitaus
fesselnder hier gibt es wirklich Himmelstürmende, Überwältigendes,
Beglückendes, Erschütterndes, wenn auch nicht durchgehend.
Auch die sängerischen Leistungen sind sehr ansprechend (4029-2).
Ein anderes Requiem, dasjenige von Gabriel Fauré, dirigierte
1968 die berühmte Pariser Kompositionsprofessorin Nadia Boulanger,
die außerdem von Fauré und Strawinskij geprägte,
archaisch-dunkelgetönte sakrale Werke ihrer frühverstorbenen
Schwester Lili (1893-1918) präsentierte, darunter vor allem
den 26-minütigen 130. Psalm 'Du fond de labîme'
(4026-2). Was im Fall Lili Boulangers als bis heute maßstabsetzende
Aufführungen gelten muss, wirkt jedoch bei Fauré trotz
aller stilbewußt gewissenhaften Ernsthaftigkeit ein wenig
kleinformatig, wenn man dagegen an Celibidache oder Cluytens denkt.
Ein denkwürdiges Ereignis war am 28. September 1963 anlässlich
der Konzerte der Moskauer Philharmoniker in London das Zusammentreffen
von Yehudi Menuhin mit David und Igor Oistrach. David dirigierte
im Beethoven-Konzert, welches dem Solisten Menuhin denkwürdig
fabelhaft gelang, ganz besonders im zweiten Satz, wo der Dialog
mit den Orchesterstimmen von vollendeter Einfühlung getragen
ist. Und Menuhin dirigiert Mozarts Sinfonia concertante mit Igor
an der Geige und David an der Bratsche ein Konzertieren von
nie nachlassender Lebendigkeit, hochkultiviert und mit uneingeschränkter
Freude am gemeinsamen Musizieren, wie eine Sternschnuppe am Nachthimmel
des Kalten Krieges (4019-2). PianistenVielleicht das allergrößte Juwel, das BBC Legends bisher herausbrachte, ist Arturo Benedetti Michelangeli vorbehalten. Es hat schon nichts mehr mit Perfektion zu tun, wie er, begleitet vom New Philharmonia Orchestra unter Frühbeck, 1965 Edvard Griegs Klavierkonzert vorträgt. Nichts entgeht diesem ebenso transzendenten wie gnadenlos direkten Musiker, die Phrasierung ist überall von solch unumstößlicher Gestalt, dass Zweifeln nur dann Raum gegeben wird, wenn die Wahrnehmung des Hörers getrübt ist. Außerdem das erste Buch von Debussys Préludes, aufgenommen 1982 und von unantastbarer Vollendung (4043-2). Walter Gieseking ließ 1956 seinen wunderbar leichten, filigranen, von höchster Nuancierungskunst durchdrungenen Debussy und Ravel hören, und 1953 Schumanns Kreisleriana mit nie erzwungener Eindringlichkeit (4030-2). Ganz Gesang war das Spiel von Myra Hess, die, vom BBC Symphony Orchestra unter Sargent begleitet, Beethovens Klavierkonzerte Nr. 5 und 2 vortrug man höre zumal die langsamen Sätze! Dazu gibts noch ein dialogisch sehr amüsantes Interview, in dem sie ihre Abneigung gegen alles Mechanische zum Ausdruck bringt (4028-2). Das faszinierende pianistische Spektrum dieser Edition wurde außerdem um hochkarätige Aufnahmen Clifford Curzons und Svjatoslav Richters erweitert. Mit Barenboim spielt Curzon in nobler Eintracht Mozarts Doppelkonzert KV 365, mit Britten die Sonate für zwei Klaviere KV 448 (4037-2). Und von Boulez wird er begleitet in Mozarts Krönungskonzert und dem Fünften Beethovens zu solcher klassischen Empfindsamkeit angesteckt dürfte man Boulez selten gehört haben (4020-2). Richter entlockte 1961 mit Kyrill Kondraschin und dem London Symphony Orchestra Liszts Klavierkonzerten einen inneren Reichtum, wie es nur ganz wenige vermochten, und siehe, es ist doch weit mehr als virtuose Theatralik (4031-2, zuzüglich Chopins Andante spianato et Polonaise). Und dann ist da zuletzt ein französisches Doppelalbum Richters, aufgenommen zwischen 1961 und 1967, ein wahrer Segen für hungrige Fans mit viel Chopin und Debussy (4021-2). BBC Legends ist erhältlich über den Vertrieb Musikwelt, Münster/Westfalen. Christoph Schlüren |