Immer wieder staunenAnouar Brahem, Oudist |
Anouar Brahem, geboren 1957 in Halfaouine, gilt als der bedeutendste
Oud-Spieler seiner Generation in Tunesien. Die Oud ist eine Laute
vermutlich persischen Ursprungs und diente einst als Vorbild der
europäischen Laute. Sie wird in der arabischen Musik vornehmlich
als Begleitinstrument eingesetzt. Doch brachten es einige Oud-Virtuosen
zu beträchtlichem Ruhm als Improvisatoren von unverkennbar
persönlichem Profil, so auch Ali Sriti, bei dem Anouar Brahem
im Anschluß ans Konservatorium in Tunis mehrere Jahre lang
Privatschüler war: "Er empfing mich praktisch jeden Tag.
Die Stunden dauerten so von 3 Uhr nachmittags bis 8 Uhr abends und
waren in die alltäglichen Verrichtungen integriert. Während
er mich unterrichtete, überwachte Ali Sriti auch die Bauarbeiten
an seinem Haus. Der direkte Kontakt mit diesem Meister war das Wichtigste
für meine Entwicklung. Was ich bei ihm lernte, ist theoretisch
nicht vermittelbar wie im Jazz. Das war ein großes
Privileg für mich. Natürlich gibt es theoretische Grundlagen
im Melodischen, im Rhythmischen, in den Verzierungen. Aber die praktischen
Feinheiten sind individuell geprägt. So ein Meister ist die
beste Schule." 1990 begann Brahems Zusammenarbeit mit dem Münchner Label ECM, wo jetzt das fünfte Album erschienen ist. Ist auf den ersten zwei CDs, 'Barzakh' (1990, ECM 847540-2) und 'Conte de lincroyable amour' (1991, ECM 511959-2, mit dem phänomenalen Klarinettisten Barbaros Erköse) noch das arabische Element dominierend, so kommt es auf den weiteren Aufnahmen durch die Zusammenarbeit mit europäischen Musikern zu abenteuerlichen Stilkreuzungen, wobei sich Brahems sensitiv-nobles Spiel immer seinen Raum erobert und in der interkulturellen Begegnung seine Authentizität erhält. 'Madar' (1992, ECM 519075-2) ist vom spannenden Dialog mit dem Saxophonisten Jan Garbarek geprägt, der Melodien seiner norwegischen Heimat einbringt. 'Khomsa' (1994, ECM 527093-2) enthält in vielseitiger Instrumentation (mit dem Akkordeonisten Richard Galliano) Stücke aus Film- und Theatermusiken Brahems und klingt recht französisch orientiert. Auf seinem neuen, mit den Jazzmusikern John Surman (Klarinetten, Saxophone) und Dave Holland (Baß) aufgenommenen Album 'Thimar' wollte Brahem "auf ganz einfache Dinge zurückgreifen, alles entkleiden bis zur nackten Substanz. Dabei gerieten Holland und Surman zum Glück keinen Moment in orientalische Klischees." Und er selbst? "Um Himmels Willen! Selbstimitation ist das Schlimmste. Mein Ziel ist, immer wieder zu dem ursprünglichen Staunen zurückzufinden, das der Grund für alles Musizieren ist." Christoph Schlüren (CDs bei ECM) (Beitrag für Music Manual) |