Nachrichten vom Jazzgitarristen John AbercrombieWelcome to Open Land! |
"Es gibt keine strikte Grenze zwischen
Komposition und Improvisation, und immer wieder entsteht die Zone,
wo es durcheinander geht: Wenn Du ein geschriebenes Stück erklingen
lassen kannst, als wäre es improvisiert, kannst Du vielleicht
auch eine Improvisation gestalten, als wäre sie komplett durchkomponiert.
Je mehr ich so etwas anstrebe, desto bewußter werde ich über
die Form. Man fängt ja tatsächlich mit nichts an, setzt
das Fragment einer Idee frei und muß dieses nun entwickeln,
ausfalten in der Zeit, zu einem schlüssigen Ende bringen. Man
muß intuitiv sein und zugleich wie ein Komponist denken. Das
ist nicht so, wenn Du in einem gegebenen, traditionellen Stil
z. B. Bebop quasi 'gesichert' improvisierst. Aber wenn ich
versuche, mit Akkorden und Melodien etwas Neues, ein komplettes
Stück hervorzubringen, ist das viel härter: Man muß
dann mit allen Aspekten zurecht kommen, eine Gesamtform etablieren.
Es sollte natürlich und fließend wirken, auch wenn es
kompliziert ist, und das geht nur, wenn man sich über die Struktur
bewußt ist. Der gute Improvisator hört genau, was er
gerade tut, und reagiert darauf, auch in der Gruppe, besonders da!
Nimm Keith Jarrett: Er ist sehr frei, und es klingt sehr komponiert,
wenn ihm alles gelingt, und zugleich so spontan und unbegrenzt.
Frei sein heißt eigentlich: frei in den Entscheidungen sein.
Es bedeutet keineswegs Chaos, sondern Bewegungsfreiheit innerhalb
des Systems, Hingabe an die Möglichkeiten. Die wahre Freiheit
entsteht durchs Hören, nicht durch die motorische Fertigkeit.
Es ist die Kunst des zugleich bewußten und intuitiven, fortwährenden
Antwortens." Den Geiger Mark Feldman, der einen herausragenden Eindruck hinterläßt, hatte Abercrombie "vor einigen Jahren zum ersten Mal gehört und wollte die ganze Zeit etwas mit ihm machen. Mein erster Gedanke war diese 'perverse Kuriosität': Geige, Orgel, Gitarre und Drums an Saxophon und Flügelhorn dachte ich da noch gar nicht. Aber auch der Sound von Geige, Sax und Gitarre hatte sich mir eingeprägt, von einer Platte Jerry Hahns aus den 70ern. Diese Kombinationen haben mich nie mehr losgelassen, und jetzt konnte ich sie endlich verwirklichen." Am schönsten übrigens bezeichnenderweise in der hellwachen, bizarren Sechser-Improvisation "Free Piece Suite" Welcome to Open Land! Daneben sollte man Abercrombies einfühlende Qualitäten als relaxed schöpferischer Sideman nicht übersehen, so auf der jüngsten CD im Quartett mit dem Tenorsaxophonisten Charles Lloyd. "Ich bin grundsätzlich ein Electric-Guitar-Player. Das hat mich schon als Kind am meisten fasziniert. Heute leben wir in einer Zeit, wo die E-Gitarre endlich ihre eigene Identität im Jazz hat. Sie hat sich eigenständig entwickelt in der Improvisation, weg von der Saxophon-Imitation. Und das Interessante bei der Gitarre ist, daß es so unerschöpflich viele verschiedene Arten und Wege gibt." Christoph Schlüren (1999) (Beitrag für Music Manual, 2000) Auswahl-Diskographie
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