< RARE MUSIC STARTSEITE

Erleuchtung,
die Umnachtung bringt

Manfred Trojahns "Was ihr wollt", Oper uraufgeführt

Die Bühne des Nationaltheaters beherrscht von einer zerklüfteten Felskuppe, deren Leuchten in emotionsfördernden Farbbädern den Hintergrund stets in Dunkelheit beläßt: In der Inszenierung von Peter Mussbach ist Shakespeares "Was ihr wollt"-Liebesspuk ein allnächtlicher, und die Sänger tollen über das unwegsame Steilgelände mit einer trittsicheren Behendigkeit, daß der entsetzliche Gedanke, es könnte ja vielleicht auch mal einer dabei ausrutschen und ins Orchester fallen, sich schnell verflüchtigt. Übrigens hat Mussbach weniger Shakespeares Drama inszeniert, oder eben eher nebenbei, denn er hat vor allem in sehr einfühlender und fantasievoller Weise eine Choreographie zu Manfred Trojahns Musik geschaffen. Diese Musik erfüllt die an sie gestellten Erwartungen und übertrifft sie auch zuweilen. Überwiegend geht es Trojahn um die direkte klangliche Entsprechung, Verdeutlichung und Überzeichnung dessen, was die vom späten Claus H. Henneberg mit feinem dramaturgischen Gespür eingerichtete Vorlage hergibt. Gerade das Komische gelingt ihm vortrefflich, hier darf er sich mit verspielt treffsicherer Naivität in "unzeitgemäßer" Nachfolge von Schostakowitsch oder dem bewunderten Killmayer sonnen, und die Palette reicht von kulinarisch zubereitetem Möglichkeitsscherz bis zu programmierten Lachern, die vom Publikum bereitwillig goutiert werden. Die Charakterisierung der knieweichen Haudegen Sir Toby und Sir Andrew, letzterer vom stotternden Englischhorn sekundiert, ist launig und kurzweilig, unterstützt vom bukolischen Umhertölpeln am Rande des Absturzes. Malvolios herrische Enge, sein zerquetschter Stolz, sind gleichfalls musikalisch trefflich dokumentiert. Doch hier wäre nun auf dramaturgische Schwächen zu verweisen. Der Grundgestus der Partitur ist unruhig wuselnd, eine der Sturmnacht entronnene, sich um sich selbst drehende Wirbelmusik, die vorzüglich die anfängliche und letztliche Verwirrung zu umschließen vermag. Im dritten Akt freilich fördert das Insistieren auf Turbulenz eine Nivellierung der Wirkungen, die ausgerechnet Malvolios liebewähnend fehlgesteuerter Attacke auf seine begehrte Herrin Olivia das emotionale Fundament entwindet. Zuviel gewollt. Hier wäre ein nachhaltigerer Kontrast zuvor anzuraten gewesen. Einen solchen bringen beispielsweise die wagnerisch sentimental barockisierenden Auftritte Orsinos, auf dem Elefantenrüssel reitend, mit sich, indem die Bewegung, durch die aufgerührt wird, eine innere statt einer äußeren ist. Der Wiedererkennungswert des Orsino-Motivs, eines absteigend auskomponierten Molldreiklangs elisabethanischer Färbung, ist hoch. Meist überzeugt die Alternanz der musikalischen Ebenen im Übereinklang mit dem Werdegang des Dramas, der Effekt ist eindeutig und vermeidet beeinträchtigende Häufungen.

Doch nicht jeder Eintritt des Neuen oder Entscheidenden gelingt unverwechselbar. Manchmal steht dem eine eigendynamische Geschäftigkeit des Tonsatzes im Wege, die im Figurativen nicht frei ist von Routine und Unverbindlichkeit – hier bleibt dem Komponisten sein exzellentes Handwerk als solches übrig. Die schwächeren Momente des gut zweistündigen, durch eine Pause vor dem dritten Akt portionierten Werks sind in der allgemeinen Kurzweil schnell durchwatet. Szenisch unzureichend aufbereitet sind die in ihrer Funktion nicht kenntlich gemachten, sensualistischen Zwischenaktmusiken – das kann man woanders sicher noch anders machen.
Flimmernder Eros durchschwirrt den in tiefes Rot getauchten Raum, wenn Olivia Sebastiano naht, um dem Spiel der Täuschungen nichtwissend die Krone aufzusetzen – schade nur, daß hier die Inszenierung auf einer verhaltenen Brechung beharrt. Eine schöne szenische Idee ist schließlich der Abgang der Geschwister in einem Fanal – Erleuchtung, die Umnachtung bringt. Die ganze finale Gipfelung in Entzauberung und Restkonfusion ist mit sicherer Hand durchgeführt. Indem Bruder und Schwester einander wiederfinden, setzt ein chromatisch emporsteigender Endlos-Baßgang an, der das resultierende Durcheinander in der über alle hereingebrochenen Nacht zusammenhält. Daß die halbtönige Sequenz unvorhersehbar innehält anstatt eine Schlußwirkung herbeizuführen, wirkt sich doch eher als Schwäche denn als Überraschung aus.
Den Schluß bestreitet Trojahn demütig mit dem Original-Schlußsong des Narren auf englisch zur Folk-Fiddle. Die in München vorgelegte Aufführung hat eine hohe Meßlatte angelegt. Die selbstverständliche Sorgfalt und Kontrolle Michael Boders, der die weitestgehende Umsetzung des musikalisch Möglichen erzielte, ist vorbildlich und das Staatsorchester wird der von Trojahn angestrebten Transparenz des Komplexen gerecht. Herausragend Iride Martinez, die die horrend schwere Viola/Cesario-Rolle mit feinster Beherrschung höchster Lagen verkörperte, ein Muster unversehrter Zerbrechlichkeit. Innig und packend in der jähen Veränderung der Gemütslagen Rainer Trost als Orsino, mit leuchtkräftiger Leidenschaft Jeanne Piland als Olivia, glänzend in der hochfahrenden Verworrenheit Jan Zinkler als Malvolio. Wo auch die weiteren Darsteller dem hohen Niveau entsprachen, ist man verleitet, schon bei der Première von einer exemplarischen Darbietung zu sprechen. Trojahns "Was ihr wollt" war ein mit massiven Buhs garnierter breiter Erfolg, dem in seinem professionell strukturierten Einfallsreichtum nahtlos an "Enrico" anzuknüpfen nichts im Wege stehen dürfte.

Christoph Schlüren
(Rezension für Frankfurter Rundschau, Mai 1998)