Aphoristischer BekenntnismusikerPortrait György Kurtág |
Kein Wunder ist es, daß der mittlerweile über siebzigjährige
György Kurtág in langen Jahren intensiver schöpferischer
Arbeit nur ein schmales uvre hervorgebracht hat. Seine Musik
ist von intensivstem Ringen um den exakten Ausdruck des Erlebten,
um die unmittelbare klangliche Umsetzung seelischer Inhalte durchdrungen,
von brisanter, immerwährender Suche, die aus neuen wie altbekannten
Klangbausteinen immerzu einmalige, unentdeckte Zusammenhänge
schürft. Selbst das abgegriffenste Klischee kann vor Kurtágs
innerem Ohr Echtheit und Würde zurückgewinnen, indem es
nicht beliebiger Collage unterworfen, sondern unverzichtbarer Bestandteil
eines organischen Prozesses ist. Kurtág entlockt unscheinbarsten
Materialien mittels spontan gehörter, minutiös durchstrukturierter
Verknüpfungen archetypische Qualitäten suggestiver Eindringlichkeit,
er entfesselt in der Gegenüberstellung oft scheinbar unvereinbarer
Elemente Kraftfelder hochkomplexer Gestalt, die unbedarfter produzierenden
Künstlernaturen verschlossen bleiben. Die Dichte der Aussage,
die Fähigkeit, aus scheinbaren Nichtigkeiten ganze Welten tönender
Gewalt aufbrechen zu lassen, die Poesie zwischen Mut zur nackten
Substanz und obsessivem Ausreizen der in einer Klangverbindung liegenden
Möglichkeiten, die paradoxe Durchbrechung mühelos zufliegender
"objets trouvées" und existentieller Identifikation:
all das ist Folge der "unbeirrbaren Suche nach dem Wahren",
was als Motto über Kurtágs musikalischem Lebensweg stehen
könnte. So entstand jene unverwechselbare, gleichwohl nie voraussehbare
kompositorische Handschrift, für die Kurtág nun den
mit 250.000 DM dotierten Siemens-Musikpreis, den höchsten Musikpreis
im deutschsprachigen Raum, erhielt. Kompositionslehrerin in jener Zeit hat er die Psychologin Marianne Stein bezeichnet. In der Arbeit mit ihr lernte er seine wahren Stärken kennen als aphoristischer Bekenntnismusiker, der einem Minimum an Material ein Maximum an Expressivität und Gestaltreichtum abzugewinnen versteht. Das Streichquartett op. 1 ist der Einstieg in diese unerschöpflich reiche Miniaturwelt, die wie eine fantastische Synthese von Weberns asketischer Konzentration und Sensibilität mit Bartóks abgründigem Musikantentum anmutet, restlos verinnerlicht und transzendiert ins Eigene. In Werken wie den 40 "Kafka-Fragmenten" für Sopran und Geige, den 21 "Botschaften des verstorbenen Fräulein R. V. Trusova" für Sopran und Kammerensemble erweist sich seine Fähigkeit, diese sich so eigensinnig gebärdenden Miniaturen zu großen Zyklen zu ergänzen. Daß er in größeren Formen nicht weniger zu sagen hat, bewiesen in den letzten Jahren Stücke wie das Doppelkonzert für Klavier, Cello und 2 Ensembles oder "Stele" für großes Orchester, wo die im Material liegenden Möglichkeiten großzügiger entfaltet, in den Klangraum hinausprojiziert werden und den Hörer mit absolut musikalischen Mitteln tief erschüttern. Christoph Schlüren (Beitrag für Music Manual anläßlich der Verleihung des Siemens-Musikpreises 1998) CD-EmpfehlungenMusik für Streichinstrumente; Keller Quartett; ECM 453258-2. |