Peter Racine FrickerVerlorener Klassiker |
Obwohl Englands jüngere Musikgeschichte nicht überreich mit echten Originalgenies gesegnet ist, leistet man sich auf der Insel nach wie vor den Luxus haarsträubender Vernachlässigung nationaler Komponistengrößen hier sei nur an Arnold Bax, Havergal Brian, John Foulds oder Ernest John Moeran erinnert. Ein ganz extremer Fall ist Peter Racine Fricker (1920-90), der in den fünfziger Jahren fraglos als einer der eminentesten Meister einer neuen Tonsprache gepriesen wurde zu Recht. Sir William Primrose beispielsweise erklärte Frickers Bratschenkonzert rundheraus zum gelungensten Gattungsbeitrag einer ganzen Generation. Längst vergessen: 1964 verließ Fricker seine englische Heimat und wurde Professor an der University of California in Santa Barbara, was ihm seine Landsleute mit hundertprozentiger Mißachtung heimzahlten. Dabei bedachte er, einer der eminentesten Symphoniker Englands, fast alle Gattungen mit Bemerkenswertem, wenngleich kaum Spektakulärem. So kann man sich nur wundern, wenn nun mit den beiden Violinsonaten op. 12 (1950) und op. 94 (1987) erstmals zwei einigermaßen umfangreiche Werke auf CD erhältlich sind. Darin erweist Fricker sich als aus der Tradition zu erlesen dissonanter, stilistisch eigentümlicher Formung vorgestoßener, dem pastoralen britischen Klischee abholder, verlorener "Klassiker der Moderne", der von Vorbildern wie Bartók, Hindemith oder Berg ausgehend seine eigenen Wege fand. In der frühen Sonate fasziniert vor allem die
sensitiv-filigrane Welt des Allegretto-Mittelsatzes ('come un valse
distante). Das späte Werk ist von einer Reife und Meisterschaft,
die Frickers Vernachlässigung als grob fahrlässig erfahren
läßt. Susanne Stanzeleit und Julian Jacobson spielen
mit Hingabe und respektabler Disziplin, auch in der sehr hörenswerten
Sonate Alan Rawsthornes (eines der dichtesten Werke dieses lediglich
auf Tonträger angemessen vertreten Meisters) und dem immer
wieder vital-kraftvoll imponierenden Spätwerk des allseits
anerkannten Ralph Vaughan Williams. Mehr Fricker auf CD ist eine
dringende Forderung, an englische Interpreten und Produzenten wie
an seinen mächtig desinteressierten Verleger Schott. |